Wie kann es anders sein? Beim Besuch auf dem Compas-Bauernhof Bäumlihof in Riehen ist es ein Hund, der einem als Erstes freundlich entgegenspringt. Ein paar Minuten später liegt er friedlich zusammengerollt neben dem 8-jährigen Luca im Therapieraum und wird gekrault. Die beiden scheinen eng vertraut. «Zwischen Luca und Pippo hat es gleich eine Verbindung gegeben », erzählt uns Milena Petignat, Psychotherapeutin und Co-Geschäftsleiterin des Vereins Compas. Seit einem Dreivierteljahr kommt Luca zu ihr in die Psychotherapie. Und zu Hund Pippo. Denn zu jeder tiergestützten Psychotherapie gehört selbsterklärend ein Tier. Welches? Das entscheiden ganz allein die Patienten. «Wir lassen die Kinder und Jugendlichen selber wählen, mit welchem Tier sie zusammenarbeiten möchten. Meist geschieht die Auswahl ganz unbewusst, z.B. bei einem Spaziergang über den Hof», so die Psychotherapeutin. Im Falle von Luca hat sich schnell gezeigt, dass die Chemie zwischen ihm und Hund Pippo stimmt. «Bei der Auswahl des Tieres zeigen sich häufig erste Einblicke in die Interaktions- und Beziehungsgestaltung des Patienten.» So hat sich Luca nicht umsonst den freundlichen, gutmütigen Pippo ausgesucht. Der aber auch mal das Weite sucht, wenn ihm etwas nicht passt. Der Junge musste also lernen, wie er den Hund am besten anspricht, welche Gestik und Mimik er benutzt, welche Worte ihn weiterbringen. «Luca kommt aus einer belasteten Familie, strukturierte Abläufe kannte er nicht. Das hat sich negativ auf seine Selbstsicherheit ausgewirkt», erklärt Milena Petignat von der anfänglichen Beziehungsarbeit mit ihrem jungen Patienten. «Um mit Pippo arbeiten zu können, braucht es klare Strukturen, Wertschätzung und Sicherheit, sonst macht er nicht mit und geht. Um hier eine Beziehung aufzubauen, braucht es die richtige Mischung aus Bestimmtheit und Feingefühl sowie die eigene Präsenz im Hier und Jetzt». Auch das Thema Lob scheint in dieser speziellen Beziehung eine tiefgreifendere Rolle zu spielen. Wie in der Zusammenarbeit mit Lucas Eltern herauskam, wurde zu Hause selten ein Lob ausgesprochen. Luca musste die verbindenden Auswirkungen von Lob in der Interaktion mit Hund Pippo also erst lernen, während die Eltern ihrerseits lernen mussten, Lob für Luca in den Alltag zu integrieren. «Wir sind hier auf einem sehr guten Weg», freut sich die Therapeutin.
Mensch zum Handeln bringen
«Der Mensch kommt mehr ins Handeln, wenn ein Tier im Spiel ist und in die Therapie integriert ist», erklärt Milena Petignat das Prinzip. Sei es bei Entscheidungsschwierigkeiten, Ängsten, Panik, Konzentrationsschwierigkeiten, Autismus. Die tiergestützte Psychotherapie bietet für viele psychische Belastungen einen erfolgversprechenden Ansatz. «Viele kommen zu uns, weil sie sich im herkömmlichen psychotherapeutischen Setting nicht wohl fühlen.» Die Auswahl des Tieres und der Tierart ist dabei nicht unwichtig. Jede Tierart hat ihre spezielle Eigenschaft. Und innerhalb der Tierart hat jedes Tier seinen eigenen Charakter. Huhn Frida ist anders als Huhn Ophelia. Pony Tequila anders als Pony Energy. «Pferde beispielsweise sind vielschichtig und spiegeln die Emotionen von uns Menschen mehr als andere Tiere», erklärt uns die Psychotherapeutin, «das kann manche Kinder aber auch überfordern. In diesem Fall brauchen sie eher ein Tier, welches vorsichtig ist in der Kontaktaufnahme, wie beispielsweise ein Huhn.» So wie bei der 12-jährigen Sophie, die erst mit einem Pferd gearbeitet hat, was ihr schnell zu viel wurde. «Heute gehen wir regelmässig zusammen in den Hühnerstall, sorgen uns um die bunte Hühnerschar und reden. Sophie fühlt sich hier wie in einem Nest, geborgen und nicht mehr überfordert.»
«Der Mensch kommt mehr ins Handeln, wenn ein Tier in die Therapie integriert ist.»
Milena Petignat Co-Geschäftsleiterin Verein Compas
Tierwohl hat Priorität
Bei Menschen, die Probleme mit Frust oder Druck haben, können Ziegen eine besondere Rolle einnehmen. Die sturen und eigenwilligen Tiere bieten sich bestens an, um an der eigenen Frustrationsgrenze zu arbeiten. Auch hier führt die Interaktion dazu, dass die Patienten ihr Verhalten anpassen, den Fokus aufs Tier setzen. Dabei ist die freiwillige Mitarbeit der Tiere sehr wichtig und das Tierwohl hat auf dem Hof höchste Priorität. Jedes Tier hat die Möglichkeit zum Rückzug. «Tiere sind gutherzig und das soll nicht ausgenutzt werden», betont Milena Petignat. Zahlreiche Freiwillige kümmern sich um die Tiere auf dem Hof. Insgesamt leben dort 7 Ponys, 8 Hasen, 10 Hühner und 3 Ziegen. Hinzu kommt Pippo, Milena Petignats Hund. «Als wir 2018 den Verein Compas gründeten, um tiergestützte Psychotherapie zu ermöglichen, haben wir mit 6 Tieren angefangen. In den drei Jahren kamen zahlreiche neue Tiere, Therapeutinnen und Freiwillige hinzu, denn der Ansatz ist gefragt. Insbesondere in der aktuellen Krise sind wir ein paar Mal an unsere Kapazitätsgrenze gekommen», so Milena Petignat. Ängste, soziale Isolation, das macht sich bemerkbar. Und auch einmal mehr die Entfremdung des Menschen von Tier und Natur. Was sich spätestens dann bemerkbar macht, wenn man sie wieder zusammenführt. Dominique Simonnot
www.compas.ch