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Verabredung mit einer Eiche

Waldbaden ist mehr, als nur durch den Wald zu laufen. Richtig praktiziert ist die aus Japan stammende Naturtherapie eine wirksame Form der Präventivmedizin.

Verabredung mit einer Eiche

Im Wald fühlen wir uns wohl, der Körper entspannt. Bild: Getty

Auf einmal knattert ein Baum – wieso kann ein Baum so laut knattern? In der Nähe hämmert irgendwo ein Specht, scheint Taktgeber im Zwitscherkonzert mehrerer Vögel zu sein. Blätter rascheln. In der Ferne beschleunigt ein Auto.«Jetzt machst du die Augen wieder auf und wartest auf mein Kommando.» Daniela Ludwig hat mich vor einer Wiese positioniert. Auf ihr Kommando drehe ich mich in 90-Grad-Etappen einmal um die eigene Achse. Erst mit geschlossenen Augen, dann mit geöffneten. «Ziel ist es, die Sinne zu schärfen und die Aufmerksamkeit zu erhöhen», erklärt sie uns. Daniela ist ausgebildete und zertifizierte Shinrin-Yoku-Gesundheitstrainerin. Shinrin-Yoku kommt aus dem Japanischen und kann am besten mit Waldbaden übersetzt werden. Der Ursprung des Waldbadens liegt bereits 2500 Jahre zurück – in China war es zu dieser Zeit eine alte Tradition, mit Körper- und Atemübungen in der Natur eine harmonische Verbindung zwischen Wald, Körper, Geist und Seele herzustellen mit dem Ziel, die Lebensenergie im Körper zu erneuern. Eine Verbindung, die uns das moderne Leben häufig kappt. Die Auswirkung dieser Entfremdung auf die Gesundheit ist mittlerweile bekannt. Der Mensch wird krank.

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Bei der abschliessenden Teezeremonie.

Erfindung eines japanischen Ministers

Diese Erfahrung machten auch die Japaner, wo bereits in den 80er-Jahren die heutige Form des Waldbadens entstand. Damals konnten die wunderschönen Wälder aufgrund des fortschreitenden Holzimports aus Übersee nicht mehr verwendet werden, während gleichzeitig die massiv steigende Zahl stressbedingter Erkrankungen zunahm. Das brachte die beiden japanischen Ministerien von Forst und Gesundheit dazu, sich zusammenzutun, um den Menschen die Natur wieder näherzubringen, sie gesundheitlich zu stärken und gleichzeitig die grossen Wälder zu nutzen. Der Leiter der Forstwirtschaftsbehörde «erfand» schliesslich den Namen Shinrin-Yoku, was so viel wie «Baden in der Atmosphäre des Waldes» oder «Wandeln im Wald» heisst. Bei uns sind beide Begriffe, Shinrin-Yoku und auch Waldbaden, bekannt. Seitdem praktizieren immer mehr Menschen diese bemerkenswerte Form der Präventivmedizin. Suchen nach Wegen, ihre Gesundheit und die Seele – beides hängt schliesslich untrennbar zusammen – nachhaltig zu stärken. Auch in der Schweiz, wo mit der Waldbaden-Akademie ein erstes zertifiziertes Ausbildungszentrum für diese Naturtherapie entstand. Waldbaden macht glücklich, ausgeglichen, gesund und stärkt Körper und Psyche. Intuitiv wissen wir das alles, fühlen uns nach jedem Waldspaziergang besser und glücklicher. Wissenschaftlich ist es mittlerweile messbar, wie ein Waldspaziergang u.a. den Cortisol-Spiegel senkt und das vegetative Nervensystem positiv beeinflusst.
   

«Die Teezeremonie am Schluss ist uns sehr wichtig, weil wir dem Wald als Gastgeber danken möchten.»

Daniela Ludwig Shinrin-Yoku-Gesundheitstrainerin
  

Gesundheit, Achtsamkeit und Fürsorge

«Gesundheitsprävention ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Touren», erklärt Brigitte Teuscher, ebenfalls Shinrin-Yoku-Gesundheitstrainerin. «Ebenso wichtig sind jedoch Achtsamkeit und Selbstfürsorge. Durch Übungen sollen Aufmerksamkeit und Wahrnehmung der Teilnehmenden für die eigenen Bedürfnisse gestärkt werden, damit sie erleben, was ihnen guttut und was nicht, welcher Stress positiv ist und welcher negativ.» Wie effektiv das mit ein paar Übungen geht, haben mir die beiden Trainerinnen gleich am Anfang gezeigt. Wie ein Fuchs sollte ich durch den Wald laufen, langsam, schnuppernd, riechend. Kontemplativ. Dann gleichzeitig wie eine Eule nach oben schauen, wachsam und aufmerksam die Gegend beobachten und jeden Schritt wahrnehmen. Tatsächlich hat diese Fokussierung geholfen, nach einem arbeitsintensiven Tag den Stress hinter sich zu lassen. Diese Fuchs-Eule-Imagination wird in Zukunft in jeden Waldspaziergang eingeplant werden.

Bei einer weiteren Übung führt mich Daniela erst mit geschlossenen Augen im Wald zu einem Baum und lässt mich diesen in Ruhe ertasten. Wer hätte gedacht, wie wohltuend das Abtasten von Rinde und Moos ist. Ich will gar nicht weg von meinem Baum – ist es eine Eiche? –, verabrede mich im Geiste zu einem Wiedersehen. Irgendwann führt mich Daniela wieder zum Ausgangspunkt. Nun soll ich mit geöffneten Augen meinen Baum im Wald wiederfinden. Gar nicht so leicht. Aber ich schaffe es und fühle mich irgendwie verbunden mit diesem Stückchen Waldboden, auf dem ich blind herumgestolpert bin. Als Nächstes machen wir ein paar Qigong-Übungen, um nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch den Atem sowie das Immunsystem zu stärken. Weil es im Wald ein wenig frisch ist, hängen wir noch eine Aufwärmübung dran. Brigitte arbeitet als Sozialarbeiterin in der Psychiatrie Baselland und zeigt Daniela und mir eine Übung der Body2Brain-Methode nach Dr. Croos-Müller. «Diese Übungen haben Einfluss auf unsere Haltung und damit auf unser emotionales Empfinden.»

Tee für den Gastgeber

Auf unserem 2,5-stündigen Spaziergang, der allerdings nur etwa einen Kilometer umfasst, machen wir noch weitere Übungen, meditieren oder reden einfach. Daniela und Brigitte kennen den Wald wie ihre Westentasche und haben ein breites Wissen über Bäume und Wildkräuter, die sie gerne weitergeben. Daher überrascht es nicht, dass zum Abschied Tee mit Rottannennadeln serviert wird, der überraschend lecker schmeckt. «Die Teezeremonie am Schluss ist uns sehr wichtig, weil wir dem Wald als Gastgeber danken möchten», so Daniela. An unserem hübsch dekorierten Baumstumpftisch werden daher vier Tassen serviert, obwohl wir nur zu dritt sind. Eine davon ist für den Wald. «In Japan bekommt der Gastgeber immer als Erstes den Tee serviert.» So natürlich auch bei uns. Wir danken dem Wald mit einem Gedicht von Hermut Dagenbach, «Doktor Wald», der mit dem Satz endet ... «Hausbesuche macht er leider nicht.». Heisst: Wir sollen mehr in den Wald statt in die Praxen. Die Gesundheit dankt es uns. Der Wald auch, vorausgesetzt, wir achten auf ihn. Denn leider ist eine erhöhte Frequentierung des Waldes auch mit erhöhter Müllentsorgung in eben diesem verbunden. «Da stimmt der Blick auf den Wald noch nicht, auch das möchten wir mit unseren Touren ändern», sind sich die Waldbaden-Expertinnen einig. Dominique Simonnot
  

Das Buch

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In diesem liebevoll gestalteten Buch vereint der weltweit führende Shinrin-Yoku-Experte Yoshifumi Miyazaki altes Wissen mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Umweltmedizin und Waldtherapieforschung.

Irisiana Verlag
25.90 CHF

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